Sich von einem Partner zu trennen, ohne bereits einen neuen Partner zu haben, scheint für viele Menschen schwierig zu sein. So erlebe ich es zumindest häufig in meiner beruflichen Praxis. Da ist die Trennung vom bisherigen Partner noch nicht einmal „offiziell“ erfolgt und schon wird der neue Partner präsentiert. Diese Verhaltensweise wird auch „Warmwechseln“ genannt.
Mit dem neuen Partner ist dann natürlich „alles anders“. Er ist liebenswert, verständnisvoll, unterstützt einen in allen Bereichen und nur mit ihm ist frau jetzt wirklich glücklich. Wirklich?
Gründe für ein „warmes Wechseln“
Ich habe großen Zweifel daran, dass das Glück, das ich empfinde, durch meinen Partner bestimmt wird. Glücklich sein ist meiner Ansicht nach eine Entscheidung, die jede*r unabhängig von den äußeren Umständen trifft. Doch immer wieder erlebe ich es. Viele Menschen wagen eine Trennung nicht ohne neuen Partner. Was sind die Gründe hierfür?
Der wichtigste Grund ist Angst. Große Angst. Angst davor, nach einer Trennung alleine zu bleiben. Nie wieder einen Partner zu finden. Da ist es doch besser, ich bleibe bei dem Partner, den ich habe, auch wenn es eigentlich nicht mehr stimmt. Für manche Menschen ist jeder Partner besser, als allein zu sein.
Oder Angst davor, dass es beim nächsten Partner noch schlimmer werden könnte. Viele Menschen glauben einfach, „es kommt selten etwas besseres nach“. Diese Menschen gehen meist durch ihr Leben und erwarten immer nur das schlimmste. Also auch in Bezug auf eine mögliche neue Partnerschaft.
Angst vor Veränderung
Die Angst vor der Trennung ist mitunter so groß, dass sich die Menschen einreden, „so schlimm ist es ja nicht“. Mir wurde in einer solchen Situation auch schon einmal wörtlich von einem Mann gesagt: „Ich bin ja nicht unglücklich“.
Ganz ehrlich? Das ist doch eine unfassbare Einstellung und grenzt für mich an Selbstbetrug. Für so einen Menschen ist es offensichtlich nicht wichtig, in seinem Leben glücklich zu sein. Es reicht, nicht unglücklich zu sein. Das ist ein sehr niedriger Standard im Leben.
Viele Menschen verweisen dann auch darauf, dass man ja schon so viel zusammen aufgebaut hat. Ein Haus, Familie, gemeinsames Vermögen. So viele Jahre hat man miteinander verbracht, wenn auch mehr schlecht als glücklich. Aber so etwas „wirft man doch nicht einfach hin“.
Provokante Frage, warum eigentlich nicht? Nur weil ein Zustand schon so viele Jahre hingenommen wurde, muss er noch weitere Jahre hingenommen werden? Was soll denn dann daran in Zukunft besser werden?
Angst vor der Reaktion der anderen
Viele Menschen haben die größte Angst vor der Reaktion der „anderen“, der Familie, der Freunde, ja sogar der Nachbarn. Angst, dass sich diese von ihnen abwenden könnten, sie nicht verstehen könnten.
In einer meiner zahlreichen Beratungen erzählte mir eine seit vielen Jahren verheiratete Frau, dass ihr Ehemann eine langjährige Affäre hatte. Das wußte die Ehefrau deshalb so genau, weil die Geliebte sie eines Tages zu Hause aufsuchte und sie bat, ihren Ehemann freizugeben. Dieser hatte sich offensichtlich kurz vorher von der Geliebten getrennt und die Geliebte wollte ihn nun auf diese Weise zurückbekommen.
Als ich sie dann fragte, ob sie die Ehe weiter fortsetzen wolle, entgegnete sie tatsächlich: „Was sollen denn die Nachbarn denken, wenn ich mich jetzt trenne? Das geht gar nicht.“
Natürlich habe ich ihre Entscheidung respektiert. Jede Frau ist die Schöpferin ihres Lebens, so wie jeder Mann der Schöpfer seines Lebens ist. Wenn sie so leben möchte, dann ist das nicht meine Angelegenheit, sie von etwas anderem zu überzeugen.
Was Sterbende am meisten bereuen
Ich musste jedoch spontan an das Buch von Bronnie Ware denken, „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“. Ratet mal, was da auf Nummer 1 steht?
Am häufigsten sagen danach Sterbende: „Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie andere es von mir erwarteten.“
Sich treu zu sein kann auch bedeuten, eine Partnerschaft zu beenden, die mir nicht gut tut. Ehrlich sich selber gegenüber zu sein und zu erkennen, wo lebe ich nach den Erwartungen anderer und wo nicht. Was mache ich, um den Erwartungen meiner Eltern zu entsprechen? Und was mache ich nicht, um den Erwartungen meiner Freunde und Nachbarn zu entsprechen?
Die Menschen in unserer Umgebung haben sich so an uns gewöhnt, wie wir jetzt sind. Sie wollen erstmal keine Veränderung bei uns, denn das könnte ja bedeuten, dass sie sich auch ändern müssten.
Ängste überwinden für ein glückliches Leben
Veränderungen rufen bei Menschen grundsätzlich Angst hervor. Das Gehirn schaltet in den Panik-Modus, wenn nach Jahrzehnten Abläufe geändert werden sollen. Denn für Veränderungen benötigt das Gehirn mehr Energie und es muss die neuronalen Bahnen verändern. Im wahrsten Sinne des Wortes die eingefahrenen, breiten (Nerven-)Bahnen verlassen und neue, kleine (Nerven-)Bahnen erschaffen. Dazu ist das Gehirn sehr wohl in der Lage, das nennt man Neuroplastizität. Doch dafür dürfen wir erst einmal unsere Ängste überwinden.
Wenn wir verstehen, dass uns unser Gehirn durch das Hervorrufen dieser Angst nur schützen will, dann können wir diese Angst annehmen, bejahen und dann gehen lassen. Dann kann ich auch eine Trennung herbeiführen, ohne bereits einen neuen Partner zu haben.
Wechseln vor allem Männer warm?
Es gibt Menschen, die behaupten, insbesondere Männer würden sich erst dann aus einer langjährigen Beziehung lösen, wenn sie bereits eine neue Partnerin sicher hätten. Das kann ich aus meiner beruflichen Erfahrung heraus so nicht bestätigen. Ich kenne auch zahlreiche Frauen, die einen neuen Partner gesucht haben und sich erst dann von ihrem bisherigen Partner getrennt haben. Diese Frauen hatten meist Angst, in finanzieller Hinsicht nach einer Trennung nicht klar zu kommen. Sie glaubten, sie brauchen unbedingt einen Partner, um finanziell irgendwie über die Runden zu kommen. Doch was ist das für eine Partnerschaft, wenn ich meinen Partner so brauche? Insbesondere, wenn ich ihn für finanzielle Sicherheit brauche?
Diese neue Partnerschaft kann gut gehen. Vor allem dann, wenn ich nach einer Trennung tatsächlich lerne zu verstehen, warum die vorherige Partnerschaft in die Brüche gegangen ist. Und dann die entsprechenden Veränderungen bei mir einleite.
Es reicht nicht, nur den Partner auszutauschen
Eine noch vor der Trennung vom alten Partner eingegangene Partnerschaft geht nach meiner Erfahrung aber vor allem dann nicht gut, wenn lediglich der Partner ausgetauscht werden soll. Sind die Grundgedanken also: der frühere Partner ist alleine schuld, dass die Beziehung nicht geklappt hat. Das Ende der Beziehung hat nichts mit mir zu tun, ich habe alles richtig gemacht. Dann stehen meines Erachtens die Chancen für die neue Beziehung schlecht.
Nehme ich mir nach einer Trennung, ob nun mit neuem Partner oder ohne, aber ausreichend Zeit für mich und erkenne, was zu dieser Trennung geführt hat, dann kann ich eine neue Partnerschaft anders leben. Denn das ist doch der eigentliche Sinn einer Trennung. Etwas daraus über mich und mein Leben lernen. Und dann den Mut haben, die entsprechenden Änderungen herbeiführen. Dann kann ein neues glückliches Leben gelingen, mit Partnerschaft oder ohne.