Eine Entfremdung zwischen einem Elternteil und dem Kind – das kommt nach Trennungen immer wieder vor. Gefühlt sind es häufiger die Mütter, die das Kind dem Vater entfremden, als anders herum. Doch was genau entfremdet das Kind vom Vater?
Was ist eine Entfremdung?
Eine Entfremdung ist der Definition nach ein „Zustand, in dem eine ursprünglich natürliche Beziehung des Menschen aufgehoben, gestört oder zerstört wird.“ Auf die Eltern-Kind-Beziehung angewendet bedeutet dies: eine ursprünglich natürliche Eltern-Kind-Beziehung wird gestört oder gar zerstört.
Hierfür gibt es auch einen englischen Fachbegriff: parental alienation. Dieser beschreibt nach einer Fachdefinition ein Phänomen bei dem ein Kind – meistens eines, dessen Eltern sich in einem konfliktbeladenen Trennungs- oder Scheidungsprozess befinden – sich stark mit einem Elternteil verbündet und eine Beziehung zum anderen Elternteil ohne legitime Begründung ablehnt.
Konflikte zwischen den Eltern führen zur Entfremdung
Also die Entfremdung geschieht häufig, wenn Eltern nach der Trennung sehr starke Konflikte untereinander haben. Diese Konflikte haben häufig gar nichts mit dem Kind zu tun. Grund ist eher, dass ein Elternteil nach der Trennung mit dem*r Ex-Partner*in gar nichts mehr zu tun haben möchte. Diese*r soll am besten komplett aus dem Leben verschwinden. Mit einem gemeinsamen Kind ist das aber nicht möglich. Beide Elternteile tragen weiterhin Verantwortung für das Kind und müssen sich auch einigen, was die Belange des Kindes angeht. Das Kind hat auch ein Recht auf den Umgang mit dem anderen Elternteil. Das ist für viele Getrennte schwierig. Was ist es also, was Kind von Vater entfremdet ?
Nochmals, nicht das Kind ist der Grund für diese negativen Gefühle, sondern der Elternteil möchte keinen Kontakt mehr mit dem*r Ex-Partner*in. Aus diesen negativen Gefühlen folgt dann häufig die Schlussfolgerung eines Elternteils, dass der*die andere auch für das Kind nicht gut sein kann.
Kinder spüren die Ablehnung der Eltern
Das Kind selbst bekommt solche negativen Gefühle der Eltern untereinander natürlich mit. Kinder haben hierfür ganz ausgezeichnete Sensoren. Selbst wenn die Eltern ihre ablehnende Haltung nicht laut aussprechen, wissen die Kinder ganz genau, was ihre Eltern fühlen. Und für Kinder ist es immer eine Belastung, wenn Mama und Papa negative Gefühle füreinander haben.
Noch schwieriger wird es für ein Kind, wenn zum Beispiel der betreuende Elternteil, häufig die Kindesmutter, zwar sagt, dass sie den Umgang des Kindes mit dem Kindesvater möchte. Das Kind dann aber ganz genau spürt, dass die Mutter dies nicht von Herzen so meint. Dies bringt das Kind in einen fast unerträglichen Gewissenskonflikt.
Der Loyalitätskonflikt
Das Kind spürt also, dass die Eltern sich nicht mehr positiv gegenüber stehen. Das Kind jedoch liebt beide Eltern und kann mit diesem Gefühl nicht umgehen. Es steckt in einem Loyalitätskonflikt. Dieses Dilemma des Kindes äußert sich dann häufig in Auffälligkeiten. Diese Auffälligkeiten können körperlich sein. Zum Beispiel fängt das Kind wieder an einzunässen. Oder es beginnt, an den Nägeln zu kauen. Auch häufige Kopf- oder Bauchschmerzen können eine solche Auffälligkeit sein. Die Auffälligkeiten können aber auch psychischer Natur sein. Der Stress kann sich in Stimmungschwankungen äußern oder in aggressiven oder depressiven Reaktionen des Kindes.
Diese gezeigten Belastungen des Kindes werden dann regelmäßig von dem betreuenden Elternteil falsch interpretiert. Sie werden umgedeutet in Anzeichen dafür, dass dem Kind der Kontakt mit dem anderen Elternteil nicht gut tut. Da Kinder häufig nach den Umgängen beim anderen Elternteil diese Auffälligkeiten zeigen, meint der betreuende Elternteil häufig, die Umgänge würden dem Kind nur schaden. Das Kind müsse leiden, nur weil der andere Elternteil sein Recht auf Umgang durchsetzen wolle.
Das Kind will es beiden Eltern recht machen
Dies führt häufig bei dem Kind zu einer Verhaltensspirale. Das Kind spürt, dass der betreuende Elternteil eigentlich den Kontakt des Kindes zum anderen Elternteil ablehnt. Das Kind selbst will aber in aller Regel den Kontakt zum anderen Elternteil, den es doch (auch) liebt. Das Kind will es beiden Elternteilen recht machen, schafft dies aber nicht, da zwischen den Eltern diese starken Konflikte bestehen. Es hat große Schuldgefühle und äußert dies eben durch die oben genannten Auffälligkeiten. Die Auffälligkeiten wiederum führen bei den Eltern zu einer Zunahme der Konflikte. Jede Reaktion des Kindes wird benutzt, um den anderen Elternteil schlecht zu machen. Dadurch verstärkt sich der Stress für das Kind noch mehr.
Manchmal wird der Druck auf das Kind so stark, dass dieses das Gefühl hat, sich zwischen den Eltern entscheiden zu müssen. Beiden kann es das Kind nicht recht machen. Also ist die einzige Lösungsmöglichkeit für das Kind, den Kontakt zu einem Elternteil abzubrechen. Meist ist dies der Elternteil, der den Umgang ausübt. In Deutschland also regelmäßig der Kindesvater. Das Kind ist dem Vater entfremdet.
Der Kontaktabbruch
In sehr belastenden Konstellationen hat das Kind auch das Gefühl, dass es hierfür den Erwachsenen eine Erklärung liefern muss. Da werden dem anderen Elternteil Vorwürfe gemacht, lieblos gewesen zu sein oder das Kind nicht beachtet zu haben. Das kann sogar so weit gehen, dass Übergriffe des Elternteils auf das Kind behauptet werden. All dies nur mit dem einen Ziel, den Kontakt zum anderen Elternteil abbrechen zu können.
Die Kindesmutter hat nach dem Kontaktabbruch das Gefühl, dass es dem Kind jetzt besser geht. Ihrer Ansicht nach kann es zur Ruhe kommen, auch die körperlichen und psychischen Auffälligkeiten gehen zurück. Doch ist das wirklich zum Wohl des Kindes, ein Elternteil nicht mehr in seinem Leben zu haben? Ist es wirklich gut für ein Kind, vom Vater entfremdet zu sein?
Entfremdung ist ein traumatisches Erlebnis
Die Entfremdung eines Kindes von einem Elternteil, zu dem es vorher eine gute und gesunde Beziehung hatte, ist für das Kind eine traumatische Erfahrung. Es erlebt einen Bindungsabbruch und häufig die Verteufelung des anderen Elternteils. Das Kind fühlt sich dann auch schuldig, weil es durch diesen Bindungsabbruch dem anderen Elternteil weh getan hat. Äußern kann das Kind diese Gefühle in der Regel aber nicht.
Eine Entfremdung von einem Elternteil führt auch häufig dazu, dass sich das Kind mit dem verbliebenen Elternteil solidarisiert. Es hat nur noch einen Elternteil, der sich kümmert, und ist auf dessen Wohlwollen angewiesen. Dies verstärkt die Ablehnung des anderen Elternteils, die dem Kind ja täglich vorgelebt wird.
Folgen der Entfremdung im weiteren Leben
All dies führt im weiteren Verlauf des Lebens häufig dazu, dass das Kind Schwierigkeiten bei der Ablösung vom bevorzugten Elternteil hat. Es leidet an mangelndem Selbstwertgefühl oder sogar an posttraumatischen Belastungsstörungen. Die Fähigkeit, im späteren Leben eine gesunde Partnerbeziehung zu leben, ist stark eingeschränkt. Die Folgen können bis hin zu Angststörungen, Depressionen oder zum Suizid gehen.
Das Kind hat also nicht nur in der akuten Phase der Entfremdung Probleme, sondern den Rest seines Lebens. Dies sollten sich Eltern bewußt machen.
Eltern müssen es – trotz der zwischen ihnen bestehenden Probleme – schaffen, dem Kind einen guten und stressfreien Kontakt zum anderen Elternteil zu ermöglichen. Eine Entfremdung des Kindes vom Vater muss unbedingt vermieden werden. Die Leidtragenden einer solchen Entfremdung sind immer die Kinder. Das sollten sich Eltern unbedingt vor Augen führen.